08. February 2016

Reichenbach: Beschluss zur Ablehnung von TTIP gefasst

Der Reichenbacher Stadtrat fasste am Montag, den 01.02.2016, mit großer Mehrheit einen Beschluss zur Ablehnung von TTIP, CETA und TiSa. Der von der Linksfraktion eingebrachte Antrag wurde bei 5 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen praktisch von allen Im Stadtrat vertretenen Fraktionen unterstützt, außer der CDU-Fraktion. Aber auch aus deren Reihen haben Wenige den Antrag befürwortet. Der Landtagsabgeordnete Stephan Hösl aus Reichenbach sprach sich für TTIP aus und lehnte den Antrag der LINKEN ab.

Hier Dokumentieren wir den gefassten Beschluss:

  1. Stadtrat von Reichenbach lehnt jegliche transatlantischen Handelsabkommen ab, die der Wahrung der europäischen Sozial- und Umweltstandards sowie dem Schutz der kommunalen Daseinsfürsorge widersprechen.

  2. Das Stadtoberhaupt wird beauftragt, im Sächsischen Städte- und Gemeindetag die Stimme der Stadt Reichenbach dafür einzusetzen, dass die kommunale Daseinsfürsorge, insbesondere die Wasserver- und Abwasserentsorgung, die Entsorgung von Abfällen und der ÖPNV sowie alle sozialen Dienstleistungen einschließlich der öffentlichen Daseinsfürsorge im Kulturbereich, sichergestellt wird.

  3. Die Landtags- und Bundestagsabgeordneten aus dem Vogtland werden aufgefordert, besonders Punkt 2 durch ihr Stimmverhalten im Sächsischen Landtag bzw. im Deutschen Bundestag zum Wohle der Stadt Reichenbach umzusetzen.

Begründung:

Demokratie und Transparenz

Die Verhandlungen zu allen drei Abkommen fanden und finden als Geheimverhandlungen statt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nicht einmal die EU-Abgeordneten haben uneingeschränkten Zugang zu den Dokumenten. Und obwohl Städte und Kommunen direkt betroffen sind, werden die kommunalen Spitzenverbände (Städte- und Gemeindetag, sowie Landkreistag) nicht in die Verhandlungen eingebunden. Dies entspricht nicht den demokratischen Standards.

Investitionsschutz für Konzerne

Bei TTIP und CETA erhalten internationale Konzerne ein Sonderklagerecht gegen demokratisch beschlossene Gesetze. Die Klagen werden vor privaten Schiedsgerichten verhandelt. Diese stellen eine Paralleljustiz dar, die grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates unterläuft und Konzerne mächtiger macht als demokratisch gewählte Regierungen. Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft sieht sich hierdurch benachteiligt und die Rechtsstaatlichkeit in Europa ausgehebelt und lehnt daher u. a. den geplanten Investitionsschutz strikt ab.

Auch Beschlüsse unseres Stadtrates können Anlass für solche Klagen sein. Dies würde dazu führen, dass sich der Stadtrat bei jedem Beschluss überlegen müsste, ob er eventuell die Gewinnerwartung eines Konzerns schmälern und somit eine Klage gegen den Staat auslösen könnte.

Negativliste, Kommunale Daseinsvorsorge, öffentliches Beschaffungswesen

In den Abkommen wird geregelt, welche Dienstleistungen von den Städten und Gemeinden erbracht werden dürfen und welche dem Wettbewerb unterliegen müssen. In dem schon ausverhandelten CETA wird dies über eine Negativliste festgelegt. Nur die dort benannten öffentlichen Aufgaben sind geschützt. Dies bedeutet für unseren Stadtrat eine massive Einschränkung in seiner Handlungsfreiheit, da es unserem Stadtrat nicht mehr möglich sein wird, auf sich verändernde Lebensbedingungen zu reagieren. Er kann keine neuen Aufgaben übernehmen, die bei Vertragsabschluss nicht in dieser Liste standen. In der Negativliste von CETA sind unsere städtischen bzw. Strom-, Gas-, Wärme-, Abwasser- und künftigen Breitbandnetze ebenso nicht gelistet (und damit ausschreibungspflichtig) wie unsere öffentliche Beleuchtung, städtischen Grünflächen und der soziale Wohnungsbau. In Verbindung mit dem Investitionsschutzstandard "Fair and equitable treatment" (faire und gleichberechtigte Behandlung) können ausländische Investoren über ihre Niederlassungen in Kanada auf indirekte Enteignung klagen und so die Ausschreibung erzwingen. Die EU schließt bisher nur hoheitliche Bereiche aus. Nach geltendem deutschen und EU-Recht können Kommunen bislang bei der Auftragsvergabe darauf Einfluss nehmen, dass kleine und mittlere Unternehmen zum Zuge kommen. Dies verbessert die Wettbewerbsbedingungen für regionale Anbieter, und stärkt damit die lokale Wirtschaft. Die Abkommen bedrohen dieses wichtige Instrument kommunaler Selbstbestimmung. Auch die Einhaltung tariflicher Mindestlöhne und andere Rahmenbedingungen bei öffentlichen Aufträgen könnten unter TTIP, CETA und TiSA von Investoren angegriffen werden.

Standstill- und Ratchet-Klausel

Die Abkommen enthalten sowohl die Standstill- (Stillstand) wie auch die Ratchetklausel (Sperrklinke). Die Stillstandsklausel legt fest, dass nach Einigung auf einen Status der Liberalisierung dieser nie wieder aufgehoben werden darf. Die Sperrklinkenklausel besagt, dass zukünftige Liberalisierungen eines Sektors automatisch zu neuen Vertragsverpflichtungen werden. Ein staatliche Aufgabe (wie etwa die Abwasserentsorgung), die einmal von einem privaten Investor gekauft wurde, könnte so niemals wieder rekommunalisiert werden.

Es hat sich in jüngster Vergangenheit gezeigt, dass, aus guten Gründen, zahlreiche Privatisierungen öffentlicher Güter wieder rückgängig gemacht wurden. Die Abkommen würden die Rückführung einmal privatisierter Leistungen in die öffentliche Hand für immer unmöglich machen. Eine Rekommunalisierung der 49%igen privaten Anteile der Reichenbacher Stadtwerke oder der RAD wären z.B. unmöglich.

Living Agreement und Rat für Regulatorische Kooperation

Im CETA ist eine regulatorische Kooperation verankert, in der EU- und US-Behörden mit Konzern-Lobbyisten zusammenarbeiten, um die Fülle an unklaren Rechtsbegriffen im Vertragswerk CETA zu definieren. Dies bedeutet, dass wesentliche Teile des Vertrages erst nach dem Inkrafttreten festgelegt werden. Im Weiteren sollen hier auch Regulierungs­maßnahmen diskutiert und gegebenenfalls Standards gelockert werden, lange bevor Parlamente diese Vorschläge zu sehen bekommen.1

Das Abkommen soll als "lebendes Abkommen" verabschiedet werden, was nichts anderes bedeutet, als dass sich die Verhandlungspartner auf ein allgemeines Rahmenabkommen einigen und die Details (z.B. Absenkung der Standards) dann in einem Ausschuss (im Nachhinein) weiterverhandeln.2 All dies geschieht am Europaparlament vorbei und entzieht sich dadurch jeglicher demokratischen Kontrolle und hat auch direkte Auswirkungen auf unsere Stadt.

(1) (European Commission 2013: TTIP: Cross-Cutting disciplines and institutional provisions. Position paper – Chapter on Regulatory Coherence, corporateeurope.org/sites/default/files/ttip-regulatory-coherence-2-12-2013.pdf

(2) (De Gucht, Karel 2013: Transatlantic Trade and Investment Partnership – Solving the Regulatory Puzzle, Rede beim Aspen Institute Prag, 10. Oktober 2013), trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/october/tradoc_151822.pdf

Kategorien: DIE LINKE. Vogtland, Kommunalpolitik, Linksfraktion Reichenbach

Verwandte Themen: Stoppt die Pläne der EU-Kommission für neue „Schiedsgerichte“!